Samstag, 2. September 2006

Verloren im Tal der Pyramiden

[Gibt es Pyramiden in Europa? Auf den Spuren eines bosnischen Indiana Jones wagen wir eine Expedition ins geheimnisumwitterte Visoko.]



Wer von Sarajevo aus in das 30 Kilometer entfernte Visoko reist, um nach Pyramiden zu suchen, wird sehr bald fündig werden. „Da ist ja eine!“, wird man rufen, dann „dort noch eine!“ und schließlich „wieder eine!“ Mit etwas Fantasie kann man ein gutes Dutzend pyramidenförmige Berge entdecken, noch bevor man am eigentlichen Ziel angekommen ist. Das liegt nicht nur daran, dass die Pyramidensuche schnell beim geneigten Hobby-Forscher die selbe mythische Sogwirkung entfaltet wie eine gut durchdachte Verschwörungstheorie. Tatsächlich ist die Pyramidenform typisch für die Gipfel in diesem Teil Bosniens.
Semir Osmanagic, der Ausgrabungsleiter, wuchs in dieser Gegend auf, ging zum Arbeiten in die Vereinigten Staaten und untersuchte später Pyramiden in Lateinamerika. Wahrscheinlich waren es eben die Gesteinsformationen um Visoko, die ihn in seiner Kindheit faszinierten und prägten und zu dem machten, was er ist – ein getriebener Pyramidenforscher, für den Indiana Jones mehr ist als eine Filmfigur – vielmehr eine Stilfigur!

Unsere Expedition führt uns von der Adriaküste, an Sarajevo vorbei direkt ins „Tal der Pyramiden“. Nachdem wir auf der Anfahrt bereits so viele gesehen haben, sehen wir beim Einfahren in den Ortskern erst einmal nichts. Vor allem kein Hinweisschild. Aus Unwissenheit folgen wir dem Schild in Richtung Stadtzentrum, was sich allerdings als großer Fehler erweist. Es mag sein, dass Visoko im Mittelalter die Hauptstadt von Bosnien war, vom kapitalen Flair ist leider nicht viel übrig geblieben. Auch vom Pyramidentourismus ist nichts zu spüren. Nachdem wir uns mit dem Wagen durch die enge und belebte Hauptstraße getastet haben, halten wir an einer Tankstelle an und fragen. Der Tankwart erklärt, dass wir auf der anderen Seite aus dem Ort rausfahren müssen, dann würden wir schon fündig werden. Am Ortsausgang sehen wir tatsächlich den ersten Souvenir-Stand und die dazugehörige Busladung voll Touristen und Feierabend-Archäologen. Dann ein Parkplatz, der zum „Restaurant Mondpyramide“ gehört. Wir halten freudig inne und dann an – um einen Kaffee zu trinken.

In dem frisch renovierten Etablissement, in dem selbst der Klospiegel in Pyramidenform gestaltet ist, strahlt uns ein Kellner mit schlecht erhaltenen Zähnen an. In Gedanken wünschen wir ihm, dass er viel Geld an den Touristen verdient – damit er sich sein Gebiss erneuern lassen kann. Ein wenig gelangweilt erklärt er uns, dass wir auf den Hügel gegenüber fahren sollten, „da laufen den ganzen Tag irgendwelche Bekloppten rum und schießen Fotos.“ Noch bevor wir weitere Fragen stellen können, ist er mit der Bestellung verduftet. Als der Kellner mit den Getränken zurückkommt, wagen wir es noch einmal, ihn anzusprechen. Ob es dort auch Ausgrabungen zu sehen gibt und ob man, wenn das dort drüben die Mondpyramide sei, auf der Sonnenpyramide auch etwas besichtigen könnte. Ausgrabungen gibt es, aber sonst weiß er von nichts. Auf der Straße taucht eine Pferdekutsche auf, die in Richtung der vermeintlichen Mondpyramide einbiegt. Hinten sitzen zwei Touristen und vorne der Kutscher mit Sombrero. Anscheinend möchte man sich an südamerikanischen Vorbildern orientieren.

Wir zahlen und brechen auf. Unser Weg führt uns vorbei an den obligatorischen Müllhaufen am Wegesrand, über eine schmale Betonbrücke, vorbei an ein paar Häusern zu einem Tante-Emma-Laden, an dem wir scharf links in eine Gasse einbiegen müssen. Für einen kurzen Moment muss ich überlegen, ob unser Auto überhaupt schmal genug für dieses Manöver ist. Es passt. Danach sehen wir nur noch vereinzelt Bauernhöfe, Parkplatzschilder und jede Menge Heu. Wir parken auf einem der ausgezeichneten Plätze, entdecken aber niemand, den wir um Auskunft bitten könnten, ob das so richtig wäre mit dem Parken und wo es denn nun endlich was zu sehen gäbe. Also laufen wir auf gut Glück den Trampelpfad nach links den Berg hoch und entdecken wenig später tatsächlich eine Ansammlung von mindestens vier Souvenir-Ständen, einer Imbissbude und weiteren Parkplätzen, auf denen das Parken 1 bosnische Mark kostet. Wir freuen uns, weil wir meinen, kostenlos geparkt zu haben.

Außerdem haben wir einige Meter oberhalb gelbes Absperrband erspäht, mit dem irgendetwas eingezäunt ist, was von unserer Position wie ein Loch im Berg aussieht. Und damit nicht genug – es ist mittlerweile 17 Uhr und über dem Hügel der vermeintlichen Mondpyramide erscheint der Mond, während auf über der gegenüberliegenden Sonnenpyramide die Sonne noch zu sehen ist. Ein ausgesprochen mystischer Anblick. Wir laufen weiter. Vorbei an T-Shirts, Kupferschalen und Miniatur-Holzpyramiden erreichen wir ihn dann zu guter Letzt – den Ort der Ausgrabungen.

Im Klartext gesprochen also eine gut zehn Meter lange Strecke, auf der Erde vom Berg abgetragen wurde. Alles was wir darunter sehen können wirkt auf uns wie ein mit Sandsteinen angelegter Trampelpfad. Ein junger Mann, der anscheinend für die Überwachung der Ausgrabungsstätte zuständig ist, erklärt uns, dass er uns auch nichts erklären kann. Bevor er uns etwas erläutern würde, könnten wir es uns auch selbst erläutern, da wir angeblich genau so viel wissen würden wie er.

Trotzdem lassen wir nicht locker, und er zeigt und erzählt schließlich von irgendeiner Symmetrie, die man in den Steinen erkennen könnte. Wenn wir mehr wissen wollen, sollten wir uns die Internet-Seite ansehen oder morgen noch mal wieder kommen, da käme der bosnische Indiana Jones persönlich und würde einen Vortrag halten. Allerdings nennt er Osmanagic nicht Indy, sondern liebevoll den „Sheriff“.

Vom Besuch der Sonnenpyramide rät er uns ab, „da gibt es nichts zu sehen.“ Also steigen wir weiter den Hügel der Mondpyramide hinauf, entdecken noch mehrere kleine Gruben und – selbstverständlich – einen weiteren Souvenir-Stand. Da in den Gruben nicht viel mehr zu sehen ist als ein bisschen Schlamm, und da unser Bedarf an Keramikpyramiden gedeckt ist, machen wir uns wieder an den Abstieg.

Am Parkplatz angekommen verlangt ein Bauer im Jogginganzug von uns zwei bosnische Mark Parkgebühr und verwickelt uns in ein Gespräch. Wir erzählen, dass wir zuerst gar nicht wussten, in welche Richtung wir laufen mussten. „Was?“, entgegnet er wild gestikulierend. „Aber ich hätte euch doch helfen können, wenn ich euch nur gesehen hätte, wo wart ihr denn, hattet ihr euch versteckt? Ich war doch nur kurz bei den Apfelbäumen...“ Wir überreichen das Geld mit dem guten Gewissen, den improvisierten Tourismus gefördert zu haben, steigen ins Auto und fahren beruhigt nach Hause – mit der Erkenntnis, dass das Einzige, von dem man auf dieser Pyramide mit Sicherheit sagen kann, dass es echt ist, die Touristen sind, und dass Parken immer dort am teuersten ist wo kein Preis angeschrieben ist.



Ich beim Bezwingen der vermeintlichen Pyramide.



Das Pyramidenmotiv zieht sich auch durch die anliegende Landwirtschaft.



T-Shirts und Publikationen zeigen den bosnischen Indiana Jones – auch Sheriff genannt.

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