Montag, 11. September 2006

Küstendorf

[Zwischen Ethno-Kunst und Alpen-Punk - das persönliche Dorf von Filmregisseur Emir Kusturica.]


Vor ein paar Jahren hat Kultregisseur Emir Kusturica einen Film mit dem Titel „Das Leben ist ein Wunder“ gedreht. In dem Film versucht ein ebenso gutmütiger wie gutgläubiger Hauptcharakter, eine Eisenbahnstrecke samt Eisenbahn in den bosnischen Bergen, direkt an der serbischen Grenze zu renovieren, um eine Touristenattraktion zu schaffen. Leider hat er seine Rechnung ohne den ausbrechenden Bosnienkrieg gemacht, der wenig später ausbrach – statt Touristen wurden schließlich Kanonen auf den Schienen befördert.
Für die Dreharbeiten fand man ein idyllisches Örtchen in Serbien, tatsächlich direkt an der bosnischen Grenze gelegen, in dem es eine alte stillgelegte Eisenbahnstrecke direkt durch die Berge gab. Man schaffte eine alte Lok inklusive passender Waggons an, renovierte und baute einige Häuser für den Film und begann zu drehen.

Doch damit nicht genug. Nachdem sein eigenes Heimatdorf im Krieg zerstört wurde, und von der Vision getrieben, tatsächlich zu beweisen, dass Tourismus auch in Serbien/Bosnien möglich ist, ließ Kusturica in der Nähe der Bahnstrecke ein Museumsdorf erbauen, indem man bewundern kann, wie die Menschen auf dem Balkan vor 200 Jahren gelebt haben. Die Idee, Museumsdörfer zu bauen, ist an sich nicht neu (lediglich in Serbien und Bosnien). Aber dann gibt es da ja auch noch die Eisenbahn, die mittlerweile in der Tat als Touristenmagnet täglich mehrmals fährt – vorbei an den Schauplätzen des Films.

Emir, der Mann, der in Serbien so bekannt ist wie der Präsident (und wahrscheinlich sogar mehr Anhänger hat), hat es also geschafft. Nicht nur, dass er Filme dreht, die ganze Nationen zu begeistern vermögen – er hat auch die erste Touristenattraktion nach Kriegsende geschaffen. Dabei fragen sich viele Landsleute, wie er das denn nun gemacht hat – normalerweise verhindert nämlich die Korruption jegliche Investitionsversuche. Will zum Beispiel jemand ein neues Einkaufszentrum in Bosnien bauen, so wird in aller Regel die Lokalpolitik die nötigen Bestechungsgelder einfordern. Investoren aus dem Ausland werden davon natürlich in aller Regel abgeschreckt. Manchmal entsteht das Einkaufszentrum dann aber einfach ein paar Ortschaften weiter – dort wo weniger Schmiergeld verlangt wurde. Obwohl es keinen Grund zur Annahme gibt, dass solche Geschäfte in Serbien anders laufen als in Bosnien, hat Kusturica sein Projekt durchgebracht.

An einem etwas verregneten Tag inspizieren wir das Dorf, das offiziell Küstendorf heißt (ja, auf Deutsch), was im ersten Moment als ein etwas absurder Name für einen Ort mitten in den Bergen erscheint, in Wirklichkeit aber nur „Kusturicas Dorf“ bedeuten soll. Wir fahren zwei Stunden mit der Eisenbahn, die sogar mit einem alten Ofen geheizt wird. Leider verstehen wir von der Bandansage, die durch die (modernen) Lautsprecher eingespielt wird, nicht sonderlich viel, da sie von dem Lärm der Lok übertönt wird. Eine kleine Geschichte will mein Schwager aber trotzdem ungefähr aufgeschnappt haben: Als die Bahnstrecke gebaut wurde, zahlte der Herrscher die Arbeiter an jedem Wochenende aus. Dann bestellte er eine Bauchtänzerin, die den Streckenarbeitern den Lohn wieder abluchste. In der nächsten Woche bezahlte der Fürst wieder mit demselben Geld. Eine frühe Form staatlich geförderter Prostitution.

Im Dorf selbst sehen wir uns einen Kurzfilm im Kino an, spenden ein paar Cent in der kleinen Kirche, trinken einen Tee und werden von einer jungen Katze regelrecht verfolgt. Selbst eine kleine Galerie gibt es, bewacht von der Skulptur eines in der Nase bohrenden Soldaten mit verrostetem Helm.

Zu guter Letzt dann tatsächlich der große Meister und alte Punker, der mit seinem VW-Caravan mit französischem Nummernschild angefahren kommt, als wir gerade zurück zum Parkplatz gehen. Unrasiert und ungekämmt setzt er seine Füße (die nur von Biolatschen bekleidet werden) auf den matschigen Boden seines Dorfes. Mein Schwager wird später auf der Rückfahrt über diesen Anblick sagen „Kusturica sieht aus wie ich beim Holzhacken“ – dennoch, er wird von einer Aura umstrahlt, der man sich nur schwer entziehen kann. Mit zitternden Knien, ins Teenager-Alter zurückversetzt, stehen wir an unserem Auto und träumen von einer Zeit, in der wir auch einmal bekannte Künstler werden, die das bodenständige Holzfäller-Flair nicht verloren haben...

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